Lüpertz, Markus
Lüpertz - A Danse À Deux - Markus Lüpertz
Clara und Robert Schumann-Denkmal
Bestell-Nr 0327
ISBN 978-3-87448-582-1
erschienen 20.12.2023
Rubrik Kunst und Kultur
Umfang 48 Seiten
Maße 14,8 x 26,0 cm
Einband Hardcover mit Fadenheftung
Preis 24,80 inkl. 7% MwSt
Lieferstatus  
A DANSE À DEUX oder Wem nützte ein enthülltes Geheimnis?
Sieben schweifende Gedanken über ein Denkmal

„Einer künftigen Zeit mag es vorbehalten bleiben, auch unsere Urteile wieder zu revidieren.“ Jacob Burckhardt hat das unter dem Stichwort Die historische Größe vor über 150 Jahren gesagt. Als vor mehr als 30 Jahren das von Nikolai Tomski geschaffene Lenin-Denkmal in Berlin abgetragen wurde3, habe ich das von einem Fenster im obersten Stock eines Wohnblocks gegenüber beobachtet. Ich erinnere, wie Lenins Kopf gelöst und hochgehoben, wie die Figur aus rotem Granit Stück für Stück abgetragen, auf Tieflader verladen und weggebracht wurde. Hubschrauber waren keine im Einsatz. Erst Jahre danach erfuhr ich, dass man Teile des Denkmals in einem Wald vergraben hatte. Absurd? Ja. Unwiederbringlich? Nein. Lenins Kopf immerhin schaffte es in die Zitadelle Spandau. Das ebenfalls von Tomski stammende Stalin-Denkmal, das der heutigen Karl-Marx-Alle in Berlin zu ihrem ersten Namen verhalf, hatte weniger Glück, es wurde eingeschmolzen.

Der Schriftsteller Richard Ford notierte in Erinnerung an seinen Vater, „[…] es wäre unrecht, wenn ich ihm etwas zuschreiben würde, was ich gar nicht weiß.“ Und weiter: „Es ist höchstens ein Ausdruck von Respekt, wenn man anerkennt, dass man nicht alles weiß […]. Das Nichtwissen hingegen, das bloße Spekulieren über das Leben eines anderen lässt diesem Leben die Freiheit, mehr zu sein, als es wirklich war“.7 In anderen Worten: Es ist legitim, sich der Ahnen mit Fantasie zu erinnern. Leerstellen darf es geben. Je entfernter das Gestern umso größer und umso besser, weil so sich der Zwang zur Genauigkeit verliert und zugleich die Gefahr eines – im Übrigen falsch verstandenen – kostümierten Historismus‘ zumindest kleiner wird. Kritiker werden nun klagen: ‚Das leiste der Verklärung Vorschub gleich wie dem Missverstehen‘! Mitnichten. In der Unvollständigkeit unserer retrospektiven Wahrnehmung liegt eine einzigartige Chance: sie schafft den Raum für ein Wesentliches in der Kunst, Behauptungen.

Die Architektur des Lüpertzschen Denkmals für Clara und Robert Schumann widerspricht jeder klassisch tradierten Vorstellung. Sie ist eine nach innen gekehrte Verringerung des Raumes. Heinrich Heil nennt es einen „tanzenden Wirbelsturm der Einsamkeit“. Das auf diese Weise aus Einzelheiten, Objekt-, Architektur- und Körperteilen Gefügte erinnert an einen Turm der indes nicht still steht, nicht herrscht, sondern sich in einem moto violente präsentiert der fürwahr einem Sturm gleicht. Einzig das mitgegossene Postament rekurriert die Traditionen. Der Künstler hat es mit Halbreliefs bildhafter Allegorien besetzt. Markus Lüpertz beschreibt die Wesenheit seiner Bildhauerei mithin so: „(…) in der permanenten Unruhe einer Skulptur, deren Aufbau die alte Harmonie verletzt, erwächst eine Spannung, die dem Statischen einen wunderbaren Ersatz für Bewegung zuführt und das Unmögliche vollbringt, ein statisches Gebilde in Bewegung zu setzen.“

Anerkennen wir das Folgende: Denkmale erfüllen längst eine andere Funktion als noch zur Zeit ihres ersten Auftretens – und erst recht seit ihrer Verbürgerlichung zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als ein Denkmal nicht nur die tatsächliche „Existenz“ mit der „allgemeinen künstlerischen Bedeutung in Einklang zu bringen [hatte]“, sondern dem in diesem Falle so geehrten Komponisten auch „die Bildnisgerechtigkeit widerfahren“ lassen „und das Hörbare nach Tunlichkeit in das Sichtbare zu übersetzen“ hatte. Doch nicht die Person, das Werk, die Leistung stehen heute (noch) im Mittelpunkt, sondern zuvorderst das Selbstwertgefühl einer Gemeinde vulgo Gesellschaft; es geht um die Besetzung zumeist urbanen Freiraums, was in
vielen Fällen gleichzusetzen ist mit seiner Rückeroberung aus den Klauen von Jugendkultur oder allgemeiner Vernachlässigung; es geht um die Dokumentation mäzenatischen Altruismus‘ – der von öffentlichem Interesse vereinnahmt wird oder sich vereinnahmen lässt. Der historisch gewachsene Begriff Denkmal kann folglich heute nur zerstört [sic!] werden, damit etwas (zeitgemäß) Neues entstehen kann. Die Herausforderung besteht darin, dass das Denkmal unserer Tage sich oft genug eben solchen abstrusen Ansprüchen gegenübersieht, die aus dem vorigen oder vorvorigen Jahrhundert stammen könnten. Wenn Ludwig Speidel 1872 noch schreiben konnte, dass die „Bildnisähnlichkeit“ bei einem Schubert-Denkmal gewahrt bleiben musste, da „noch Augen offen“ waren, „die ihn im Leben gekannt“ hätten, mag das seiner Zeit gerecht gewesen sein, der Komponist starb schließlich nur 44 Jahre vor Einweihung seines Wiener Denkmals. Doch dass Personendenkmale – nicht zeitgeschichtliche Mahnmale, nicht historisch-faktisch orientierte Gedenkstätten – heute ähnlich sein, kulturgeschichtlich genau sein sollen, warum?

Denkmalen gleich welcher Art ist sämtlich ein großes Manko eigen: stets verspricht man sich von ihnen mehr, als sie halten (können). Das liegt im Allgemeinen weder an ihrer Größe noch am Material, sondern einzig an dem, was so ein Denkmal sein will, sein soll. Dabei wird vergessen, dass Denkmale einzig retrospektive Wertungen sind, in die entsprechend alles Vorangegangene eingespeist ist. Der Schöpfer eines Denkmals, der sich dessen (heute) nicht in jedem Moment seines Tuns bewusst ist, wird in seinem Vorhaben scheitern. Er muss scheitern. Jene freilich, die nicht den Verführungskünsten wahrhafter oder vermeintlicher historischer Größe und/oder Taten erliegen, die sich lösen können vom Ballast der Zeiten, gelingt – vielleicht – mit einem Denkmal Großes.

„Ich ziehe die andere Wahrheit vor, die Wahrheit des Traumes. Von zwei Wahrheiten ist die falschere immer die richtige.“13 Oscar Wilde meinte zwar die ‚Anlage‘ der Hauptfigur seines Dramas Salome und doch passt seine Aussage so recht auch zum Lüpertz’schen Umgang mit mythologischen, historischen vulgo tradierten Begebenheiten und deren Personal.14 Um es mit seinen Worten zu sagen: „[…] ich will ja nicht die Aphrodite schaffen, ich will eine Frau machen, die dann Aphrodite heißt und der diverse Deutungen widerfahren bis hin zu grobem Un- und Mißverständnis.“

„Die wirkliche Größe ist ein Mysterium.“ Dem Diktum von Jacob Burckhardt ist kaum zu widersprechen jedoch ließe sich daraus folgern, dass ihr auch nur in aller Rätselhaftigkeit gehuldigt werden kann. Für mich ist Markus Lüpertz das mit seinem A DANSE À DEUX gelungen. Er hat Clara und Robert Schumann ihr Mysterium und damit ihre Größe bewahrt. Denn schließlich: Wem wohl nützte ein enthülltes Geheimnis?
© Stefan Skowron
Markus Lüpertz,

1941, am 25. April in Liberec, Böhmen, geboren. 1948 Flucht der Familie nach Rheydt/Rheinland. 1956–1961 Studium an der Werkkunstschule Krefeld bei Laurens Goosens; Aufenthalt im Kloster Maria Laach; einjährige Arbeit im Kohlebergbau unter Tage; Studien in Krefeld und an der Kunstakademie Düsseldorf; Arbeit im Straßenbau; Aufenthalt in Paris. Seit 1961 freischaffender Künstler. 1962 Übersiedlung nach Berlin; Beginn der „dithyrambischen Malerei“. 1963 Beginn der „Donald Duck“-Serie. 1964 Eröffnung der Galerie Großgörschen 35 in Berlin, Ausstellung: „Dithyrambische Malerei“. 1966 Manifest „Kunst, die im Wege steht. Dithyrambisches Manifest“. 1968 Manifest „Die Anmut des 20. Jahrhunderts wird durch die von mir erfundene Dithyrambe sichtbar gemacht“; erste Ausstellung bei Michael Werner, Berlin. 1970 Preis der Villa Romana, einjähriger Aufenthalt in Florenz; Beginn der „Deutschen Motive“. 1971 Preis des Deutschen Kritikerverbandes. 1973 Ausstellung: „Bilder, Gouachen, Zeichnungen. 1967–1973“, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden. 1974 Organisation der 1. Biennale Berlin; Gastdozentur, 1976–1987 Professur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Karlsruhe. 1977 Beginn der „Stil-Bilder“; Wandbilder für das Krematorium Ruhleben, Berlin; Rücktritt von der documenta 6 (mit Georg Baselitz); Ausstellungen: „Dithyrambische und Stil-Malerei“, Kunsthalle Bern; Hamburger Kunsthalle; Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven. 1980 Beginn des „Alice im Wunderland“-Zyklus. 1982 documenta 7, Kassel; Bühnenbild zur Oper „Vincent“ von Rainer Kunad, Staatstheater Kassel. 1983 Bühnenbild zur Oper „Werther“ von Jules Massenet, Ulmer Theater (vor der Premiere entfernt); Ausstellung: Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven. 1984 Aufenthalt in New York; Bilder zu „Pierrot Lunaire“. 1985 Beginn der Bilder nach Corot; Beginn der Auseinandersetzung mit antiken Themen. Ab 1986 Professur an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, 1988–2009 Rektor; Entstehung der „Zwischenraumgespenster“-Serie; Skulptur „Titan“; Ausstellung: Lenbachhaus, München. 1989 Beginn der Bilder nach Poussin; Ausstellung: „Retrospektive 1964 bis 1988“, Abbaye Saint-André, Centre d‘Art Contemporain, Meymac. 1989/90 Kirchenfensterentwürfe für die Kathedrale von Nevers. 1990 Lovis-Corinth-Preis, Künstlergilde Esslingen. 1991 Bühnenbild und Kostüme zur Oper „Der Sturm“ von Frank Martin (nach William Shakespeare), Bremer Theater; Ausstellung: „Retrospektive 1963 bis 1990“, Museo Nacional, Centro de Arte Reina Sofía, Madrid. 1993 Beginn der Serie „Männer ohne Frauen – Parsifal“; Ausstellung: Kunstmuseum Bonn. 1994 Ausstellungen: Palais Liechtenstein, Wien; Reuchlinhaus, Pforzheim. 1995 Skulptur „Judith“; Ausstellungen: Galerie der Stadt Stuttgart; Städtische Kunsthalle Mannheim, Städtische Kunstsammlungen Augsburg; Gerhard Marcks-Haus Bremen; Museum für Moderne Kunst in Bozen. 1996 Entstehung des „Otello“-Zyklus; Bühnenbild und Kostüme zu Verdis Oper „Troubadour“, Deutsche Oper am Rhein, Duisburg und Düsseldorf; Ausstellung: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. 1997 Ausstellungen: Stedelijk Museum, Amsterdam; Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München; Von der Heydt-Museum, Wuppertal. 1998 Ausstellung der Bilderfolge „Monte Santo“, Galerie Michael Werner, Köln. 1999 Beginn des „Vanitas“-Zyklus. 2000 Präsentation des „Vesper“-Zyklus in der Ausstellung „Lost Paradise Lost. Kunst und sakraler Raum“, Hannover. 2001 Wandbild „Die sechs Tugenden“ und Skulptur „Die Philosophin“, Bundeskanzleramt, Berlin. 2002 Ausstellungen: IVAM Centre Julio Gonzalez, Valencia; Museum Würth, Künzelsau. 2004 IV. International Prize „Julio González“. 2005 Skulpturen „Adler“, Bundesgerichtshof Karlsruhe, „Hommage an Mozart“, Salzburg. 2006 Doktor honoris causa der Kunstakademie Breslau (Wroclaw). 2009 Skulptur „Apoll“, Bamberg; Ausstellung: „Hauptwege Nebenwege. Eine Retrospektive“, Kunst- und Ausstellungshalle Bonn. 2010 Zwölf Kirchenfensterentwürfe für St. Andreas, Köln; Skulptur „Herkules“, Zeche Nordstern, Gelsenkirchen; Ausstellung: Albertina Wien. 2013 Internationaler Mendelssohn-Preis, Leipzig. 2014 Skulptur „Hommage an Beethoven“, Bonn; Ausstellung: Hermitage St. Petersburg. 2015 „Grand Prix artistique 2015“, Fondation Simone et Cino Del Duca; Ausstellungen: „Une Rétrospective“, Musée d‘Art Moderne de la Ville de Paris; „Markus Lüpertz / Arnulf Rainer – Bildende Kunst“, Arnulf Rainer Museum, Baden; „Nichts Neues. Die Abstraktion hat noch nicht begonnen“, Bode-Museum, Berlin. 2016 Skulpturen „Das Echo des Poseidon“, Duisburger Hafen, Mercatorinsel, „Uranos“, Theaterplatz Essen; Ehrenbürgerschaft der Stadt Liberec (Tschechien). 2017 Ausstellungen: „Max Klinger / Markus Lüpertz. Zeitgenössische Kunst“, Museum der bildenden Künste, Leipzig; „Threads of History“, Hirshhorn Museum, Washington; „Markus Lüpertz“, The Phillips Collection, Washington. 2018 Bühnenbild und Kostüme zur Oper „Una cosa rara“ von Vicente Martín y Soler, Theater Regensburg; Ausstellungen: „Markus Lüpertz. Dans l´Atelier“, Musée de la Vie Romantique, Paris; „,Der Tod, der bleiche Freier‘. Gipse“, Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal. 2019 Skulptur „Leda“, Monheim, Rheinufer; Ausstellungen: „Über die Kunst zum Bild“, Haus der Kunst München; „Oser la peinture“, Proprieté Caillebotte, Yerres. 2020 Ausstellung: Museum Jorn, Silkeborg, seit 2020 Arbeiten an 14 großformatigen Keramikreliefs für die Karlsruher U-Bahn. 2021 Regiedebüt, Bühnenbild und Kostüme zur Oper „La Bohème“ von Giacomo Puccini, Staatstheater Meinungen; Einbau von 6 der geplanten 8 Kirchenfenster, St. Elisabeth, Bamberg; Ausstellung: „A small, irrational, artist-led retrospective“, Museum für Moderne Kunst MMOMA, Moskau. 2022 Einbau der letzten 2 Fenster, St. Elisabeth, Bamberg; Ausstellung: Palazzo Loredan, Venedig, während der 59. Biennale.
Markus Lüpertz lebt und arbeitet in Berlin, Düsseldorf und Karlsruhe.